Markus Rohner hatte gehabt, wonach andere ein Leben lang streben: Einen spannenden Job als CEO in einem KMU im Bereich Lebensmittelanalyse. Doch mit 48 kamen beim zweifachen Familienvater Zweifel auf, ob er wirklich am richtigen Ort sei. Als oberster Chef hatte er sich weit von den Mitarbeitenden entfernt. Auch der Kontakt zum Verwaltungsrat war nicht mehr inspirierend. Die typischen Einsamkeitszeichen eines CEO machten sich bei Rohner bemerkbar. Auch das Resultat seiner Arbeit war für den Manager nicht mehr richtig sichtbar. Als ihn schliesslich äussere Umstände dazu zwangen, sich zu verändern, kam der Bruch: Nach einem Coaching bei Grass&Partner schlug er einen völlig neuen Weg ein. Rohner arbeitet seither als Berater bei einem Executive Search-Unternehmen. Er musste anfangs erhebliche finanzielle Einbussen in Kauf nehmen. Heute ist er etabliert – und happy.
Markus Rohner ist nicht der einzige, der sich mit fast 50 Jahren auf neues Terrain gewagt hat. Die Zahl jener, die sich freiwillig zum Outplacement-Spezialisten Grass begeben, hat sich in den letzten zwei Jahren verdoppelt. Annähernd 10 Prozent der Grass-Klientel lässt sich mittlerweile aus freien Stücken coachen. Vor allem in der Altersphase zwischen 40 und 50 steigt der Wunsch nach einem Wechsel. Bei vielen sind die Kinder dann schon grösser, und der Fokus rückt wieder mehr auf den Job. Und da zeigen sich meist erste Abnützungserscheinungen: Was früher erfüllend war, ist plötzlich nur noch knapp befriedigend. „Das kann es doch nicht gewesen sein“, höre ich häufig von solchen Kundinnen und Kunden, weiss Walter Burkhalter, Leiter der Niederlassung Bern von Grass&Partner. Hinzu kommen exogene Faktoren. Nur ein kleiner Teil der Arbeitenden wird es sich künftig leisten können, bereits mit 60 in Pension zu gehen. Die Lebensarbeitszeit zeigt nach oben. Wer also in einer Krise ist, hat meist noch zu viele Berufsjahre vor sich, um sie einfach aussitzen zu können. Severin Müller etwa, einst in leitender Stellung bei einem Energiekonzern, machte sich mit 56 Jahren selbständig, weil er genug hatte von den Mühlen eines Grosskonzerns.
Wer sich auf ein Coaching einlässt, muss den schonungslosen Blick auf sich selber zulassen – und sich sechs bis acht Wochen Zeit nehmen für die Analyse. „Das Ziel ist, sich der eigenen Kompetenzen bewusst zu werden, aber auch Klarheit über persönliche Wertvorstellungen im Job zu gewinnen“, erklärt Walter Burkhalter. In einer Zeit, in der Umstrukturierungen an der Tagesordnung sind und das Gefühl für die Werthaltigkeit der Arbeit gerade in grossen Unternehmen zunehmend verloren geht, zeigt sich ein Trend in Richtung Jobs mit einer stärkeren Sinnkomponente. NGO's etwa sind sehr gefragt. Aber auch der Wunsch nach einer Tätigkeit, in welcher Menschen oder Kinder im Mittelpunkt stehen, wird häufig formuliert.
Walter Burkhalter sieht sich aber auch in der Rolle eines Sparring Partners für seine Kunden. Gerade CEO's schätzen diesen Austausch auf Augenhöhe, da sie meistens auf sich allein gestellt sind und kaum zum Reflektieren kommen: Am Arbeitsplatz kann das Thema aus objektiven Gründen nicht angeschnitten werden, und Freunden fehlt häufig das Verständnis für den fremdgesteuerten, durchgetakteten Alltag eines CEO. Rund eineinhalb Stunden Zeitaufwand pro Woche erfordert die Standortbestimmung.
Dabei greift Burkhalter auf verschiedene Persönlichkeitstests wie Bambeck oder Wartegg zurück. Aber auch eine Biostrukturanalyse, die Gefühl, Emotion und Ratio beurteilt, kann sinnvoll sein. In gewissen Fällen lässt der Fachmann für Neuorientierungen auch mal ein graphologisches Gutachten erstellen. Rund die Hälfte von Walter Burkhaltes Kunden verändert sich nach dem Coaching, das je nach Anforderung des Klienten 5000 bis 10000 Franken kostet, tatsächlich. Die einen finden ihre Stelle selbständig. Andere lassen sich im Bewerbungsprozess weiter von Grass begleiten, gehen damit in die Phase des sogenannten „New placement“ (Kostenpunkt je nach Dauer: ca. 15 bis 30000 Franken).
Ein Wechsel ist aber nicht in jedem Fall nötig. Auch die Gewissheit, dass man aktuell am richtigen Ort beschäftigt ist, kann helfen, die ursprüngliche Motivation wieder zu finden. „Die Unsicherheit ist weg. Das wirkt entlastend“, so Burkhalters Erfahrung.
Liegt nach einem Karrierecoaching aber auch ein radikaler Neustart drin? Oder ist das in einem hochkompetitiven Arbeitsmarkt mit steigenden Anforderungen unrealistisch? Das dürften sich viele fragen, die über ihre berufliche Zukunft grübeln. Die Erfahrung von Grass&Partner ist eindeutig: Der Quereinstieg in einen neuen Job wird immer schwieriger – im fortgeschrittenen Alter sowieso. Träumen ist trotzdem erlaubt während der Standortbestimmung. Etwa in Form der Frage: „Was würden Sie tun wollen, wenn Geld oder andere reale Rahmenbedingungen keine Rolle spielten?“ Hier können die Kandidaten ihre innersten Wünsche deponieren – auch wenn sie verrückt sind. Ein ehemaliger Kunde von Walter Burkhalter, ein Finanzchef in den Fünfzigern, tat dies, indem er gestand, dass er eigentlich Fussballprofi sein wolle. Der Gedanke blieb selbstredend Fiktion. Doch der Mann fand schliesslich einen Job als Finanzchef in einem Fussballverband. Wunsch und Wirklichkeit näherten sich so deutlich an. Oder um es in der Sportlersprache zu sagen: ein gelungener Transfer.