Die Mehrheit der offenen Positionen werden nie ausgeschrieben und werden im weitesten Sinne an Personen aus den firmeneigenen Netzwerken vergeben (interne und externe Mitarbeiter). Bei den offen ausgeschriebenen Stellen besteht je nach Branche, Ebene und Funktion etc. grosse Konkurrenz unter den Bewerbern. Nicht selten sehen sich Klienten von mir mit weiter über 100 Mitbewerben konfrontiert. Wenn ich mich beispielsweise über LinkedIn auf Jobs bewerbe, kann ich direkt sehen, wie viele Personen sich auch schon auf diese Position beworben haben. Das stimmt meistens nicht sehr optimistisch.
In meiner täglichen Beratungspraxis treffe ich aber auf viele Menschen, die bezüglich der persönlichen Marketing- bzw. Bewerbungsstrategie nicht sehr kreativ sind, nur klassische Wege nutzen und deshalb die Wahrscheinlichkeit, eine offen ausgeschriebene Stelle zu kriegen, eher klein ist. In einer der wichtigsten Job Hunting «Bibeln» der Welt, geschrieben von Richard N. Bolles mit dem Titel «What Color is Your Parachute?» und mehr als 10 Millionen verkauften Exemplaren, wird diese Situation sehr schön in Form einer auf dem Kopf stehenden Pyramide skizziert. Die Hauptmessage dabei ist, dass viele, wenn nicht die meisten Bewerber auf eine Weise den nächsten Job suchen, welcher genau dem Gegenteil entspricht, wie Unternehmen in der Praxis Bewerber rekrutieren. Denn Unternehmen wollen in erster Linie grosse Sicherheit haben, dass sie keine Fehleinstellungen machen. Deshalb stellen sie präferiert Personen ein, die bereits im Unternehmen gearbeitet haben (z.B. als Angestellter, Contractor oder Berater) und deren «Fit» und Leistung man sehr gut beurteilen kann. Es müsste also einem externen Bewerber sehr gut gelingen, die Fähigkeiten und den Mehrwert auf überzeugende Weise zu demonstrieren (z.B. über Arbeitsproben, absolvierte Projekte, Mitarbeiterempfehlungs-Programme, Personal Branding und Referenzen). Auf der anderen Seite suchen Bewerber eben häufig so, dass sie sich auf offene Stellen bewerben oder auch einzelne Spontanbewerbungen machen. Das funktioniert bei unseren Kandidaten basierend auf der Dreijahreserhebung (2015–2017) von Grass & Partner zusammengenommen in 27% der Fälle, während über das eigene Netzwerk in 43% der Fälle eine berufliche Lösung gefunden wird. Bei der Altersgruppe ü50 fallen sogar 56% aufs Networking. Dem Netzwerken kommt also eine sehr grosse Bedeutung zu.
Aus meiner langjährigen Berufserfahrung im Verkauf und in der Beratung weiss ich, wie wichtig es ist, das eigene Netzwerk laufend und kontinuierlich auszubauen und zu pflegen - auch wenn ich in diesem Falle als Arbeitnehmer aktuell einen Job habe. Es ist eine lebenslange Aufgabe, die man heute beginnen sollte (wenn man es nicht schon tut) und nie mehr damit aufhören sollte. Wie das mit mehr Leichtigkeit und Motivation geht, beschreibe ich in einem anderen LinkedIn-Artikel mit dem Titel «Beyond Networking - Vom notwendigen Übel zum passionierten Netzwerken».
Doch wie genau greift man in der Praxis auf den verdeckten Stellenmarkt zu, entweder in Form von Networking oder weiteren Aktivitäten? Gerne nenne ich Ihnen ein paar funktionierende Beispiele aus meiner Beratungspraxis:
Gehen Sie auf die Menschen in Ihrem Netzwerk zu, die Ihnen am wohlsten gesinnt sind und Ihre Leistungsfähigkeit gut kennen. Diese sind meistens gerne bereit, Sie in ihrem Netzwerk bei den relevanten Kontakten weiterzuempfehlen oder Sie mit diesen kurzzuschliessen. Es empfiehlt sich auch, eine möglichst umfassende Netzwerk-Map zu zeichnen, um alle Ihre Kontakte in Erinnerung zu rufen, die relevant sein könnten.
Beginnen Sie im Rahmen Ihrer laufenden Netzwerkaktivitäten Kontakt mit Menschen aufzunehmen, die sich mit Themenfeldern beschäftigen, die Sie persönlich faszinieren und wo Leidenschaft drin steckt. Auf diese Weise treffen Sie Menschen, die gleiche Interessen wie Sie haben und das ist meistens eine sehr gute Grundlage für eine zukünftige Zusammenarbeit - in welcher Form auch immer.
Wenn Sie bereits jemanden aus Ihrer Branche kennen, der Leute einstellen kann, dann bitten Sie um ein Treffen, um solche Möglichkeiten zu besprechen. Wenn Sie diese Person weniger gut kennen, fragen Sie nach einem persönlichen Treffen, um mehr über offene Jobs in der Branche zu erfahren, in Form eines sogenannten «Informationsgesprächs». Wenn das Gespräch gut verläuft, können Sie einen Schritt weitergehen und nach Unternehmensvertretern fragen, die Sie in Ihrem Funktionsbereich einstellen könnten.
Bauen Sie sich eine Liste mit Organisationen auf, für die Sie unbedingt arbeiten möchten. Ich habe nach meinem Studium begonnen, eine solche Liste zu führen. Jedes Mal, wenn ich etwas über ein sehr spannendes Unternehmen gelesen habe oder eine entsprechende Person getroffen habe, habe ich meine Liste ergänzt, die mittlerweile etwa 2–3 Seiten lang ist. Parallel dazu habe ich begonnen, kontinuierlich mit diesen Firmen Kontakt aufzunehmen. Das hat letztlich zu zwei Anstellungen und mehreren Projekten geführt.
Wenn Sie ein erfahrener Professional sind, können Sie einem Unternehmen anbieten, auf Mandatsbasis oder als Interim-Manager zu arbeiten. Wenn Sie sich bewähren, dann besteht die Chance, dass man Sie weiter beschäftigt. Das kommt im Interim-Management bei ca. einem Drittel der Mandate vor.
Ein Bekannter aus meinem Netzwerk hat es so gemacht, dass er während seiner Auszeit von 6 Monaten einige Hundert für ihn relevante und gewünschte Unternehmen bzw. mögliche künftige Vorgesetzte – in seinem Fall Verkaufsleiter – kontaktiert hat, um herauszufinden, ob in absehbarer Zeit passende Positionen frei werden. Er führte aufgrund der Rückmeldungen insgesamt 30 Gespräche (telefonisch und persönlich) und hatte letztlich 3 Jobangebote.
Es empfiehlt sich auch, im Abstand von zwei Jahren 20 bis 30 relevante Headhunter und Personalvermittler zu kontaktieren, eine «Beziehung» aufzubauen und wenn möglich das Profil zu hinterlegen. Diese sind meist sehr gut in Unternehmen hinein vernetzt und wissen, wenn Management-Positionen verdeckt auf Mandatsbasis gesucht werden.
Bauen Sie ein überzeugendes LinkedIn-Profil auf, welches Sie einzigartig positioniert, Ihre wichtigsten Leistungen und «Errungenschaften» klar zeigt und auch fokussiert zum Ausdruck bringt, in welchen Positionen Sie in Zukunft am besten eingesetzt sind. So werden Sie im Rahmen von «Active Sourcing»-Aktivitäten von Headhuntern und Rekrutern gefunden und mit grösserer Wahrscheinlichkeit angesprochen.
Auf der anderen Seite ist LinkedIn Ihr persönliches Adressbuch, welches Sie schrittweise mit relevanten Kontakten ausbauen können. Ebenso ist LinkedIn ein Personen-Suchmaschine, wo Sie die besten Ansprechpartner finden und direkt kontaktieren können. Wenn Sie zum Beispiel eine Stelle als Marketing-Manager im FMCG-Bereich in Grossraum Zürich suchen, können Sie sehr gezielt Ihre möglichen zukünftigen Vorgesetzten ausfindig machen und auf überlegte Weise anschreiben. Oder Sie schauen, welche Ihrer LinkedIn-Kontakte mit Personen vernetzt sind (Kontakte 2. Grades), die für Sie wichtig sein könnten – so geht es noch einfacher über Empfehlungen.
Ein anderer Klient war lange Zeit im Ausland als Expat und wollte nach 6 Jahren wieder in die Schweiz zurück. Dabei hat er zuerst eine umfassende Standortbestimmung gemacht, um seine zukünftigen beruflichen Stossrichtungen festzulegen und sehr genau beschreiben zu können, auf welche Weise er am meisten Mehrwert für ein Unternehmen leisten kann im Vergleich zu seinen potenziellen Mitbewerbern mit ähnlichen Profilen. Danach hatte er alle seine ca. 100 relevanten Schweizer Kontakte angeschrieben und seine beruflichen Wünsche gezielt mitgeteilt. Daraus haben sich 15 Gespräche ergeben und 2 konkrete Stellenangebote.
Eine weitere gute Möglichkeit ist der Aufbau einer persönlichen Marke über Expertenforen im Internet, wo Sie sich als Experte für ausgewählte Themen positionieren und mit Gleichgesinnten und potenziellen zukünftigen Arbeitgebern in Kontakt treten können. Ebenso kann man ein sehr effektives Personal Branding über sein LinkedIn-Profil und entsprechende Beiträge (z.B. Posts, Artikel, Aktivitäten wie «Likes» und Kommentare) erreichen. So steigt die Chance, dass man wiederum angesprochen wird und nicht nur selbst auf Personen zugehen muss.
In meiner Tätigkeit als Berater bei Grass & Partner in den Bereichen Standortbestimmungen, Outplacement und beruflichen Neuorientierung (Newplacement), pflege ich jährlich über 100 persönliche Kontakte zu Entscheidern aus den Bereichen Verwaltungsrat, Geschäftsleitung, Business, HRM und generell Netzwerkpartnern wie zum Beispiel Headhunter oder andere Berater, die ergänzende Dienstleistungen anbieten (gegenseitige Weiterempfehlung). Diese Kontakte stelle ich auch gezielt meinen Klienten zur Verfügung. Über die gesamte Grass Group hinweg pflegen wir jährlich weit über 1'500 Kontakte in Unternehmen hinein und haben zudem weit über 10'000 ehemalige Klienten, die unsere Programme erfolgreich durchlaufen haben. Unsere jährlich stattfindenden Kundenevents (z.B. 7. Ostschweizer GrassFORUM 2018 mit über 100 Teilnehmern) bieten ebenfalls sehr gute Gelegenheiten fürs gezielte Networking. Diese Netzwerke sind ausserordentlich wertvoll und liefern uns «Insider»-Informationen über offene Stellen auf dem verdeckten Markt, die nie ausgeschrieben werden. Dazu gehören auch berufliche Lösungen wie VR-Mandate, Nachfolgelösungen bzw. Firmenkäufe oder eine Beteiligung oder Mitwirkung bei Start-ups.
Von Romeo Ruh, Senior Berater bei Grass&Partner AG